Jede Partei hat das Problem, den Bevölkerungsschichten, die sich benachteiligt fühlen oder tatsächlich benachteiligt sind, eine attraktive Aufstiegsperspektive zu bieten. Dieses „Narrativ“, diese Aufstiegsgeschichte, ist der Stoff aus dem Wahlerfolge gemacht werden. Auch in Österreich.
Seit der Wirtschaftskrise 2008 hat sich die wirtschaftliche Situation der sog. unteren Schichten deutlich verschlechtert. Bis in den Mittelstand hinein wurden die Sanierungskosten der Börsen- und Spekulationsgier nach unten verschoben. Große Vermögen blieben unangetastet. Weltweit.
Die Folgen: steigende Unzufriedenheit besonders bei schlecht Ausgebildeten, wegen ihrer geringen Chancen am Arbeitsmarkt, ArbeiterInnen, die mit steigender Arbeitslosigkeit konfrontiert waren, aber zunehmend auch Angestellte, die das Gefühl hatten, unverhältnismäßig viel Steuern zahlen zu müssen.
Eigentlich eine aufgelegte Partie für sozialdemokratische Parteien. Aber die Wahlen in Frankreich, Deutschland und jetzt in Österreich haben das Gegenteil gezeigt.
In Österreich haben drei mal mehr ArbeiterInnen die FPÖ gewählt, wie die SPÖ. Bei den Lehrlingen und Männern ohne Matura haben immerhin eineinhalb mal so viel für die FPÖ gestimmt wie für die SPÖ. Was ohnedies schon lange zu beobachten war: die FPÖ ist die neue Arbeiterpartei.
Geht man davon aus, dass für diese unzufriedenen Wählerschichten die FPÖ nicht mehr nur das populistische Sammelbecken des Protestes ist, muss man sich fragen, woraus ihre attraktive Aufstiegsperspektive eigentlich besteht.
Die Angst vor Flüchtlingen, egal ob Kriegs- oder Wirtschaftsflüchtlinge, die Arbeitsmigranten, die mit ihrem Lohndumping gerade die schlecht Ausgebildeten unter Druck setzen, abwandernde Unternehmen, denen die eigenen ArbeitnehmerInnen vollkommen gleichgültig sind, das ist das Hintergrundrauschen des Erfolgs rechter Parteien.
Aber worin besteht die Psychologie der emotionalen Entlastung, was ist der Stoff der Hoffnung auf eigenen Aufstieg, was mobilisiert diese Wähler?
Die Stärke der Sozialdemokratie war ihre Fähigkeit eine Aufstiegsperspektive durch gemeinsames und organisiertes politisches Handeln mehrheitsfähig zu machen und durch entsprechende Erfolge ab zu sichern. Gewerkschaften konzentrierten sich daher besonders auf Unternehmen mit vielen Arbeitnehmern, um die eigene Stärke zu mehren. Eine Folge davon war, dass zehntausende EinPersonenUnternehmen keine Vertretung hatten, die ihrer Lebenssituation entsprach. Ein fataler Fehler.
Dabei hat die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften vollkommen übersehen, dass nach dem Untergang des Kommunismus, der Wirtschaftsliberalismus so richtig Fahrt aufgenommen hat.
Und damit auch die Ideologie der Vereinzelung. Margret Thatchers legendäre Verneinung jeder Existenz von Zivilgesellschaft war Glaubensbekenntnis und Programm zugleich.
Anfangs hofften viele auf eine Reform verhärteter Strukturen. Bekommen habe die meisten eine Reprivatisierung des eigenen Lebensrisikos. Geblieben ist das Lebensgefühl der Vereinzelung und radikalen Selbstüberantwortung.
Wer arbeitslos wurde, war selbst schuld, wer krank wurde, hatte Pech, wer eine gute Ausbildung nicht erreichen konnte, war ohnedies nur zu faul. Der Sozialstaat als gesellschaftlicher Ort der organisierten finanziellen Hilfeleistung wurde folglich in vielen Ländern zum Zielobjekt der Umverteilung nach oben. Eine Entwicklung, die auch in Österreich in den kommenden Jahren stattfinden könnte.
Eine Kompromisstrategie sozialdemokratischer Parteien mit dem Wirtschaftsliberalismus war der machtpolitische Preis, was natürlich zu Lasten der eigenen Glaubwürdigkeit ging. Das soziale Kahlschlagprogramm Hartz IV wurde in Deutschland von einem sozialdemokratischen Kanzler eingeführt!
Wer draußen war, oder sich draußen fühlte, der war oftmals einsam, heimatlos(?), irgendwie hilflos. Ein Versager? Oder ein Opfer von etwas undurchschaubar Anderem?
Da setzte nun das „Narrativ“ rechter Parteien, wie etwa der FPÖ, ein: ohne die Vereinzelung auch nur irgendwie zu hinterfragen, wurde der Einzelne gegen Andere oder Anderes emotional positioniert, betreut, aufgenommen und herausgelöst aus seiner Versagensangst und dem Gefühl des Bedroht seins. Ihm wurde Heimat gegeben. Wobei Heimat immer ein Ort der Vergangenheit und kein Ort der Moderne war. Weshalb auch? Setzt sich nicht ein Gutteil der rechten Wählerschaft aus „Modernisierungsverlierern“ zusammen?
Die Vereinzelung wird bis heute nicht hinterfragt. Geht auch nicht: denn rechte Parteien sind Parteien deren Wurzeln natürlich tief in der Ideologie des Wirtschaftsliberalismus mit seinem Individualisierungsfetisch liegen.
Das ist gut abzulesen im häufigen Gebrauch des Wortes „ordentlich“.
Wer „ordentlich“ ist, dem wird geholfen. Wer aber sagt, was eigentlich „ordentlich“ ist? Und wer sagt eigentlich, wer überhaupt „ordentlich“ ist? Und ist „ordentlich“ dann nicht nur ein anderer Begriff für brav leistungswillig, bereit sein, sich ein zu ordnen, nicht zu hinterfragen, zu funktionieren.
Und wer nicht funktioniert, der darf dann wieder die Reprivatisierung seiner Unordentlichkeit erleben? Wird diese aussortierte Person dann vielleicht zu etwas „Anderes“?