Mir san mir

Vor einigen Tagen konnte man sich auf ORF On über die Präsentation der beiden Wiener Bürgermeisterkandidaten, Michael Ludwig und Andreas Schieder, vor den Parteigremien der SPÖ informieren.

Zentrales Kommunikationsanliegen diverser O-Töne danach war, dass man unbedingt einen öffentlichen Schaukampf der beiden Kandidaten und eine Spaltung der Wiener SPÖ verhindern will.

Hallo?? Ich habe gedacht, ich lese nicht richtig.

Hier geht es ja nicht um einen gruseligen, mit Schwertern ausgetragenen mittelalterlichen Schaukampf, sondern hier geht es um die einmalige Möglichkeit, dass zwei Kandidaten ihre Vorstellungen für Wiens Zukunft in der Öffentlichkeit bekannt machen können.

Und wenn die Organisationsintelligenz einer immerhin 100 jährigen Partei nicht ausreicht, um zwischen Ideenkonfrontation und Spaltung zu unterscheiden, so finde ich das zwar ernüchternd, zugleich aber öffentlich eher bedeutungslos.

Spätestens seit dem Ergebnis der letzten Gemeinderatswahl ist klar, dass die Selbstwahrnehmung der Wiener SPÖ Gremien (Parteivorstand, bzw. 157 Mitglieder umfassende Ausschuss) gleichsam für eine „virtuelle“ Mehrheit der Wiener Bevölkerung zu stehen, dauerhaft antiquiert ist.

Mehr noch: die Mitglieder der Wiener SPÖ stehen derzeit nur noch für eine Teilmenge des roten Wählerspektrums und ich hege den Verdacht, dass die Gremien der Wiener SPÖ auch nur für eine Teilmenge dieser Teilmenge stehen.

Eine soziologische Studie, inwieweit die Mitglieder der Wiener Gremien repräsentativ für die rote Wählerbasis sind (ich lasse hier bewusst die Mitglieder der SPÖ beiseite), könnte ein aufschlussreiches Ergebnis bringen.

Das angedachte Mauschelverfahren in diesen Gremien zur Kür eines neuen Parteivorsitzenden und Bürgermeisterkandidaten hilft daher keinem der beiden Kandidaten weiter.

Im Gegenteil:

Liebe Kandidaten, nützt doch jede Möglichkeit, um Eure Vorstellungen, wohin es in Wien gehen soll, in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Hört auf, ausschließlich über die Probleme dieser Stadt zu reden, die ja ohnedies bekannt sind und von diesem wirklich guten Beamtenapparat alles andere als schlecht gemanaged wird.

Gebt der Diskussion, wer von Euch der Passendere ist, intellektuelle Energie, indem Ihr über Eure Visionen für Wien sprecht. Sagt, was aus Eurer Sicht, Wien wieder zu einer einmaligen Stadt, jenseits der grantelnden Fiakermentalität machen kann.

Bringt diese Stadt wieder in die Offensive!

Damit aus dem „mir san mir“ wieder ein „mir san wir“ wird.

Eurer Antwort mit großer Neugierde entgegenblickend, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

Christian Cap

 

 

Randnotiz über den Neoliberalismus 1.Teil

Es war nur eine Randnotiz zu den  Koalitionsverhandlungen: “ Die FPÖ nominierte laut ÖVP-Angaben auf Experten-Seite… die Präsidentin des Friedrich August v. Hayek Instituts…Barbara Kolm…“, eine sehr sprachgewandte Gralshüterin des Neoliberalismus.

Irgendwie erstaunlich!

Die FPÖ, die sich in ihrer Oppositionsrolle stets als Verteidiger der Benachteiligten, der wirtschaftlich Unbeachteten, der an den Rand Gedrückten, der arbeitswilligen Arbeitslosen präsentiert hat, nominiert als Expertin eine Person, die möglichst Alles dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen will. Ob das diesen Menschen helfen wird?

Aber Halt, gehen wir einen Schritt zurück. Wofür steht eigentlich der Neoliberalismus.

Die großen Vordenker dieser wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Denkrichtung waren Friedrich August von Hayek und Milton Friedman. Ihr Credo war geprägt von einem grenzenlosen Glauben in das selbstständige Funktionieren von Märkten, einem tiefen Vertrauen, dass jeder Markt seinen Gleichgewichtszustand von selbst findet, einem Freiheitsbegriff, der nur durch den „Zusammenstoß“ mit der Freiheit eines Anderen beschränkt sein darf und damit – logischerweise – jede staatliche Intervention, sofern sie nicht alle gleich betrifft,  angewidert ablehnt.

Für Hayek war dabei eine Phase der Wirtschaftsrezession ein Mittel zur Gleichgewichtsfindung einer im Ungleichgewicht befindlichen Ökonomie eines Landes.

Für Friedman hingegen, dem Vertreter des Monetarismus, existierte eine „natürliche“ Arbeitslosenquote, die einfach hinzunehmen war.

Diese neoliberale Denkrichtung, die aufs Engste mit den Politikern Ronald Reagan, Margret Thatcher,  Augusto Pinochet in Chile und Boris Jelzin (am Beginn seiner Amtszeit in Russland) verbunden ist,  bestimmt seit rund 40 Jahren die politische Landschaft westlich orientierter Staaten.

Sie ist inzwischen eine Art von wirtschaftspolitischer Selbstverständlichkeit geworden und hat dennoch keine der großen Fragen unserer Zeit gelöst.

Wie auch!

Der Neolioberalismus sieht die Märkte als idealen Begegnungsort für den Ausgleich unterschiedlicher Interessen.  Funktionierende (perfekte) Märkte sind im Idealfall geprägt von vollkommener Durchlässigkeit der Informationen, freiem Zugang und dem funktionierenden Tauschmittel „Geld“.

Dabei wird eines allzu gerne übersehen: was nicht kapialisierbar ist, was keinen Tauschwert erlangt und damit mittels Geld getauscht werden kann, das findet keinen Zugang zu diesem Ort des Interessensausgleich.

Da der Neoliberalismus die Natur im Sinn von Umwelt stets als unendlich verfügbar und unbeschränkt nutzbar gesehen hat, ist der Klimawandel, als globale Herausforderung unserer Zeit, nicht „kapitalisierbar“, hat keinen Eigentümer (nur Verursacher) und kann daher nicht gehandelt werden. Der Klimawandel, als Folge unseres Wirtschaftens, entzieht sich jedem Marktmechanismus. Er ist irgendwie einfach zu groß, zu fundamental, passt in keinen Markt.

Auch das Ergebnis der Umweltkonferenz von Kyoto, die versucht hat die Umweltbelastungen in Form von „Emissionsrechten“, die zwischen Ländern gehandelt werden können, marktkonform zu machen, hat sich als nicht ausreichend herausgestellt.

Was sich aber in den letzten Jahren stattdessen dramatisch „kapitalisiert“, sind die Folgen des Klimawandels.

Wetterextreme, Katastrophen und zu Schaden gekommenen Menschen kosten viel Geld. Dass diese Folgekosten auf keinem Markt gehandelt, sondern durch die finanziellen Hilfen der Staaten abgemildert werden, hat noch keinen Neoliberalen gestört.

So banal dieses Beispiel sein mag, so fundamental ist die Konsequenz.

Wenn globale Zukunftsfragen im neoliberalen Konzept  selbstregulierender Märkte, für alle erkennbar, keinen Platz mehr finden, ist die machtpolitische Wirksamkeit dieser Konzeption in Gefahr.

Es ist daher kein Zufall, wenn im heutigen Vatikan des Neoliberalismus, den Vereinigten Staaten, eine starke politische Strömung beharrlich den Klimawandel wegleugnen will.

Aber so wie einst Galileo Galilei den dogmatischen Vatikankardinälen bewiesen hat, dass sich die Sonne nicht um die Erde dreht, sondern vielmehr die Erde um die Sonne kreist, ist es heute notwendig aufzuzeigen, dass der Neoliberalismus eine ebenso konstruierte Wirklichkeit ist, wie das, was sich damals die Vatikankardinäle so schön zusammen gereimt hatten.

 

 

 

 

Change Management ?

Wer heutzutage die Nachrichtenmeldungen verfolgt, den kann eine Fahrt in der Geisterbahn nicht erschrecken.

Eingeklemmt zwischen Meldungen über IS Horror und atomaren nordkoreanischen Drohszenarien, beunruhigt durch eine Massendemonstration grölender Rechtsradikaler am polnischen Nationalfeiertag als ein weiteres Anzeichen für den Aufstieg des neuen Nationalismus in Europa, bekommt man als Draufgabe die Meldungen über klimapolitische Realitätsverweigerung diverser Rechtspopulisten a la Trump frei Haus dazu.

Sein „America first“ Slogan verspricht unabhängige nationale Handlungsmöglichkeiten, die beispielsweise in Zeiten des globalen Klimawandels eigenartig antiquiert erscheinen.

Die Liste ließe sich noch fortsetzen!

Die Hochkonjunktur der grenzenlosen Vereinfacher und Radikallöser mit starkem Hang zur Intoleranz stimmt sehr nachdenklich. Und mindestens ebenso nachdenklich stimmt die Erkenntnis, dass Politiker dieses Typs auf durchaus breite Zustimmung in ihren Ländern zählen dürfen.

Demokratische Kultur geht stückweise zurück, Gewaltbereitschaft steigt.

Was findet da statt?

Um es gleich vorweg zu sagen:  jedes Land hat seine eigene Geschichte, in ihm wirken seine eigenen Ursachen, die zu diesen Entwicklungen geführt haben und sind allesamt nur schwer vergleichbar.

Trotzdem verbindet sie eine Gemeinsamkeit: die Angst vor tiefgehenden Veränderungen, die gefühlsmäßig längst spürbar sind und deren mögliche Auswirkungen sich nicht fassen lassen.

Es scheint, als ob die Zukunft vielen Menschen die ihnen lieb gewonnenen Teile „ihres“ Lebens wegnimmt. Sie fühlen sich um ihre Zukunftserwartungen betrogen. Und das schmerzt.

Zeiten des Wandels sind Zeiten hoher Komplexität. Was gerade noch funktioniert hat, macht nun Probleme. Was in Zukunft irgendwie funktionieren soll, klappt noch nicht. Wandel heißt daher in Parallelwelten leben zu müssen, verbunden damit, Lösungen zu finden, die immer irgendwie mit Verzicht einher gehen. Und das will organisiert sein. „Change Management“ eben.

Diesen Prozess kann man als Gesellschaft offen und offensiv beginnen, mit Augenmaß für alle Teile der Gesellschaft, damit keine Bevölkerungsgruppe sich zu sehr benachteiligt fühlt.

Oder eine Gesellschaft verweigert, führt keinen Diskurs über drohende Veränderungen, glaubt sich abducken zu können, verneint die Konsequenzen, flüchtet in Vergangenes, Traditionelles.

Die neue Welle des grölenden Nationalismus passt da gut hinein. Was als nationale Identität politisch allzu gern angeboten wird und universeller Bezugsrahmen für autoritär getränkte Politik ist, löst langfristig kein Problem. Nationaler Isolationismus ist bestenfalls Erkenntnisaufschub für eine Gesellschaft. Kein Zeitgewinn. Nur Zeitverlust.

Am Beginn jedes gesellschaftlichen „Change Managements“ steht die breit akzeptierte Erkenntnis, dass der Wandel notwendig und fällig ist. Diese Akzeptanz zu erreichen ist eine ungemein schwierige Aufgabe, weil sie mit breiter gedanklicher Mobilisierung verbunden ist. Sie ist ein ungeheurer kollektiver Kraftakt, dessen Kraft aus ruhiger wissensbasierter Analyse, breiter – für alle Interessierten –  verständlicher Information und gesellschaftlich annehmbaren Lösungsansätzen besteht.

Ein herrliches Umfeld für jeden Demagogen, der damit die Gefühlsklaviatur der Schuldigensuche, des Neids und der gesellschaftlichen Spaltung auf und ab spielen kann.

Das politische Angebot der radikalen Vereinfacher erweist sich da als sehr verlockend. Bei ihnen braucht sich niemand gedanklich zu mobilisieren. Und wer weiß, vielleicht funktioniert es ja doch noch einmal, das Alte, das Einfache, das radikal Vereinfachte, das immer schon Dagewesene und Gewohnte.

Schade, dass in Europa gerade wieder Zeit verloren wird!

 

Irgendwie spannend.

Dem voraussichtlichen neuen Bundeskanzler Sebastian Kurz ist geglückt, was selten ein Politiker zustande bringt: sich selbst zur breiten Projektionsfläche unterschiedlichster Erwartungen zu machen.

Für die alltagsenttäuschten VP-Wähler war er der Wunderknabe, der eine vollkommen unbewegliche Partei noch einmal dynamisieren konnte.

Für viele junge Wähler war er die Projektionsfläche für einen längst überfälligen Generationenwechsel in der österreichischen Innenpolitik.

Für die von Ausländerangst geplagten Österreicher war er die abgesoftete (irgendwie vielleicht anständigere) Radikalvariante der Grenzen-dicht-Macher.

Für die Mehrheit seiner Wähler war er aber die große Hoffnung auf irgendeine Art von Aufbruch, Dynamik, Bewegung oder gar etwas Neuem.

Wer als Politiker eine derart breite Projektionsfläche abgibt, der muss Konkretes meiden, darf nur in der dunklen Andeutung bleiben, ohne dabei als Person Glaubwürdigkeit zu verlieren und darf nur konkret werden, bei dem was abzulehnen, nicht mehr zu ertragen ist und längst weg gehört.

Die Inszenierung der Gefühle, die mit einer solchen politischen Person verbunden werden muss, hat ein Ziel: den Wahlakt  zum finalen Gefühlserlebnis eigener Befreiung zu machen.

Jetzt oder nie.

Zukunft oder…. (bitte auswählen: Dunkelheit, Untergang, Schuld, Reue…).

Und zu dieser Inszenierung gehört im Idealfall auch der symbolische Beweis, dass nur diese eine Person, und zwar wirklich nur und ausschließlich diese eine Person, der Hoffnungsträger ist:

„Liste Sebastian Kurz“, die neue Volkspartei.

Genial.

Spätestens seit dem unfreiwilligen Rückzug von Peter Pilz weiß man, was ein Name in einer Parteibezeichnung bewirken kann: bei Abhandenkommen der zentralen Person viel Orientierungslosigkeit.

Schon deshalb wird dieser Zusatz „Liste Sebastian Kurz“ in der traditionell intrigensüchtigen Volkspartei für Kurz zu einer politischen Lebensversicherung erster Klasse. Ohne Kurz ist die ÖVP nur noch der halbe Name.

Haben da die Granden in der Volkspartei gar etwas verschlafen, oder war deren Selbstvertrauen als politische Partei so geschrumpft, dass seinerzeit Kurz leichtes Spiel hatte?

Wie auch immer. Jetzt, nach erfolgreicher Wahl, muss Kurz liefern. Der Aufbruchsgeschichte seines Wahlkampfes muss nun ein Regierungsprogramm folgen, dass dieser breiten Projektionsfläche seiner politische Person gerecht wird.

Das ist gar nicht so einfach. Denn, wenn das grelle Licht der Tagespolitik die Projektionsfläche ausleuchtet und das Halbdunkel des Unkonkreten verschwindet, dann können die auf ihn projizierten Erwartungsbilder seiner Wähler rasch an Kontrast verlieren.

Zurück bleibt dann ein großes schales Bild nicht eingelöster Hoffnungen.

Irgendwie spannend.