Kein Zweifel: Vieles von Kant hat sich überlebt.
Und manches, das Kant, eingebettet in seine Zeit, geschrieben hat, hinterlässt Zweifel.
Eines bleibt: sein „erkenntnistheoretischer Ansatz“ ebnet der Moderne den Weg, mit vielen Konsequenzen.
Eine Wissenschaftsentwicklung, die auf der Austauschbarkeit errungener und nachvollziehbarer Erkenntnisse beruht, moralische Prinzipien, die jenseits göttlicher Gnadenakte universal angesiedelt sind, die Erkenntnis des Einzelwertes jedes Menschen als Voraussetzung zur Formulierung allgemeiner Menschenrechte, und (auch) die politische Selbstermächtigung ganzer Gesellschaften.
Kant war nicht alleine, er konnte auf andere Philosophen aufbauen. Ihm ist aber mit seinen philosophischen Schriften der entscheidende Blickwinkelwechsel gelungen, der zu seiner Zeit noch fehlte.
Seine Frage, wie und was kann der Mensch erkennen, wie kommt Erkenntnis zustande, mag zwar im Zeitalter der Quantenphysik nur noch lückenhaft beantwortbar sein, der Raum der definierten gemeinsamen Erfahrung – aufbauend auf dem Austausch normierter Erkenntnisse – war für die Wissenschaftsentwicklung aber von unschätzbarem Wert.
Mit seinen moralphilosophischen Überlegungen ist Kant etwas Wichtiges gelungen. Er hat dem moralischen Nebeneinander ein, auf Vernunft aufbauendes, moralische Miteinander entgegengesetzt. Die umgangssprachliche Verkürzung seiner Überlegungen, findet sich in dem, noch Vielen von uns bekanntem Satz wieder: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“
Angesichts der laufenden und sich anbahnenden kriegerischen Konflikte, die derzeit unsere Welt zu zerreißen drohen, ein Handlungsprinzip, das schmerzhaft fehlt.
Waren die meisten kriegerischen Auseinandersetzungen nach dem 2. Weltkrieg – zumindest formal dem Konkurrenzkampf zweier entgegengesetzter Gesellschaftsmodelle untergeordnet, zeigt sich heute ein vollkommen anderes Bild. Viele Konflikte sind wieder religiös unterlegt und inspiriert.
Ihre moralische Berechtigung ist daher scheinbar göttlich und unhinterfragbar.
Dieser „Religionsfeudalismus“ fördert auch die Wiederauferstehung autokratischer Tendenzen, ihre Herolde sind die neuen Vorurteilsdemagogen und die stumpf konsumierten Sozialen Medien (mit ihren KI – Algorithmen) ihre Multiplikatoren.
Eine Hoffnung beruht wiedereinmal auf der Urteilskraft und der Vernunft der/des Einzelnen.
Aber wie heißt ein, auch hier falsch wiedergegebenes, aber treffendes (Freud)Zitat? „Die Stimme der Vernunft ist leise“.
Umso mehr ein Grund, Kants drei Hundertsten laut, sehr laut zu feiern.