Tag 1 nach dieser historischen Wahl in Österreich bringt in den Medien die üblichen Koalitionsspekulationen.
Was aber noch übersehen wird, ist der Paradigmenwechsel, der am gestrigen Wahlsonntag im Ergebnis deutlich geworden ist:
1. Sowohl Sebastian Kurz als auch Peter Pilz sind Repräsentanten einer politischen Auffassung, die, zugunsten versprochener schnellerer Entscheidungsfähigkeit, bewusst vorhandene und verknöcherte Strukturen beiseite schieben. Das mag demokratiepolitisch schwer verdaulich sein, ist aber in Zeiten großer gesellschaftlicher Unsicherheit eine erfolgreiche Antwort.
Und hier ist Kurz die Quadratur des Kreises geglückt: als Spitzenkandidat mit ausgeprägtem „Ich Drall“ hat er sich im Wertekatalog der verstaubten ÖVP bewegt und gleichzeitig die Botschaft der Überwindung dieser verstaubten Struktur durch seine Person kommuniziert. Erstaunlich!
2. Kurz hat damit viele junge Menschen wieder zurückgeholt in die politische Arena. Und diese junge Menschen werden in den nächsten Jahren deutlich politisch mitgestalten.
Nebenbei gesagt: wenn es der Spitze der ÖVP/Liste Kurz gelungen ist 200 bis 300 junge Menschen davon in ihre Parteistruktur ein zu flechten, so reicht das für ein zehnjähriges Talentereservoir. Unschätzbar wertvoll!
3. Angesichts der Flüchtlingswellen und der Integrationsherausforderungen ist der Rechtsruck keinesfalls dramatisch ausgefallen. Im vorliegenden Wahlergebnis ist ja zu berücksichtigen, dass die Wählerstimmen von Team Stronach und dem BZÖ abholbereit auf dem Wählermarkt lagen. Die Frage ist vielmehr, wie sich das in Zukunft entwickeln wird, wenn z.B. der Klimawandel Flüchtlingswellen in noch ungeahntem Ausmass auslösen wird. Die heutigen Angstreaktionen werden dann nicht mehr weiterhelfen.
4. Die Nabelschau-Basisdemokratie der Grünen ist gestern erschreckend deutlich abgestraft worden. Und das ist gut so. Es ist Zeit, dass die Grünen zu einer offenen transparenten politischen Bewegung werden, die Personalentscheidungen von persönlichen Befindlichkeiten unbekannter Weniger abkoppeln und endlich begreifen, dass Konzepte allein emotional im Wählervakuum angesiedelt sind.
5. Diese Wahl ist für die Sozialdemokratie ein Glücksfall.
Durch die Verweigerung jeder organisatorischen Modernisierung war sie am besten Weg zu einem lebenden Museum zu werden.
Die Illusion Themen jenseits des klassischen Konflikts Arbeit/Kapital ignorieren zu können, hat sie aus einer roten Volkspartei zur Zeit Kreiskys, zu einer, bestenfalls, Mehrthemenpartei mit schwindender Bedeutung gemacht.
Und die Dualität Partei und Gewerkschaft als machtpolitisches Dogma gelebter Regierungsverantwortung hat immer weniger das reale Leben in unserem Land abgedeckt.
Mit dem Verlust einer Regierungsbeteiligung können diese Probleme immer weniger beiseite geschoben werden. Sie werden daher die Treiber einer Reformbewegung innerhalb der SPÖ werden.
Die WählerInnen haben gestern gewählt und vieles in Bewegung gesetzt.
Hut ab.